Montag, 28. Juli 2008

Die Mittagssonne

brennt gnadenlos, ich schiebe den Mäher durchs knöcheltiefe Gras. Schweißtropfen rinnen in die Augen und brennen. Es duftet nach frisch geschnittener Wiese, und wenn ich an das Kräuterbeet stoße, steigen Aromawolken von Minze und Zitronenmelisse auf. Der Sommerflieder zieht magisch Schwärme von Pfauenaugen und Zitronenfaltern an. Ein Frosch, der im Schatten Zuflucht vor der Hitze gesucht hatte, springt erschrocken davon, als ich mich nähere.
Runde um Runde verpasse ich der Wiese einen neuen Haarschnitt. Arbeit auf eigenem Stück Land. Danach kühles Wasser auf der Haut, durstlöschendes Wasser auf der Zunge.
Wer sagt, dass nicht auch Frauen Spaß haben an einer sonst typischen Männertätigkeit?

Donnerstag, 24. Juli 2008

"Rare poems ask rare friends"

Dieses aus der Feder von Ben Jonson stammende Motto ist auf den Dichter John Donne gemünzt, einem lange in Vergessenheit geratenen und heute mühsam wiederentdeckten Zeitgenossen Shakespeares. Mühsam deswegen, weil er ein zwar brillianter, aber schwer verständlicher Lyriker, Satiriker - und Geistlicher ist. Seine Gedichte sind voller Anspielungen, Paradoxien, Projektionen, Metaphorik, Polemik und maßlosen Übersteigerungen, die sich dem Leser zum Teil nur in den historischen Zusammenhängen Englands in der Jahrhundertwende um 1600 erschließen. Trotzdem ist er ein moderner Dichter, weit seiner Zeit voraus. Seine Sprache ist zuweilen brutal offen, mit frivolen und und unverhohlen erotischen Anspielungen, die aber wiederum nur Symbol für tiefer liegende Empfindungen sind. Seine Hauptthemen sind Liebe, göttliche wie menschliche (wobei er kühn eine transzendente, heilige Erotik und gleichzeitig eine erotisierte Gottesliebe formuliert) sowie Abschied und Tod.
Ich arbeite mich gerade durch einen dritten Lyrikband von ihm durch, "Alchimie der Liebe", und bin zugleich verwirrt und begeistert. Manche Sätze sind so schön, dass man sie gar nicht verstehen muss, um mit der Empfindung dahinter mitzuschwingen. Andere widerum würde ich so gern durchschauen und schaffe es einfach nicht.
Zwei Beispiele, die sich mir einigermaßen, wenn auch nicht nicht vollständig erschließen:

"Erstürme mein Herz! Dreifaltiger Gott, der scheu
Bis jetzt nur anklopft, haucht, heilsam bespricht.

O wirf mich nieder, dass ich mich aufricht!

Brauch deine Kraft, blas, brenn und mach mich neu!


Ich, eine Stadt, dem Feind verpfändet, freu

Mich auf Dein Kommen. All mein Mühn hilft nicht:

Vernunft, Dein Vogt, dem mich verteidigen Pflicht,

Wird bald gefasst, da schwach und ungetreu,

Doch innigst lieb ich Dich, möcht, dass Du mich

Auch liebst. Und bin dem Feind versprochen doch!

Löse, zerhau den Knoten, scheide mich,
Reiß mich zu Dir, wirf mich ins Kerkerloch!

Ich bin nicht frei, außer Du bändest mich.

Ich bin nicht rein, außer Du schändest mich."

Ein Zeugnis von John Donnes Sprache, die mal zärtlich, mal überaus brutal sein kann. Dass er es wagt, das Bild einer Vergewaltigung mit Gott in Zusammenhang zu bringen ... Alles in mir sträubt sich dagegen. Und doch - im Sinne von Überwältigt-sein könnte ich es nachvollziehen. Auch das Wissen um die Begrenztheit des Verstandes, seine Sehnsucht nach Gottesbegegnung und Erneuerung ...

Zum Verständnis des nächsten Gedichtes "Die wahre Braut Christi" muss man wissen, dass Donne katholisch erzogen worden war, in den späten Regierungsjahren Elisabeths Katholiken aber zunehmend der Verfolgung ausgesetzt waren. Nach langen Bedenkzeiten näherte er sich daher der anglikanischen Kirche an, das alles unter jahrelangen großen Gewissenskämpfen.
"Die Geschminkte" ist die römische Kirche; "jene, die verstört" die Reformierten in Deutschland und die Puritaner in England. "Hat sieben" (Rom auf seinen sieben Hügeln) oder "einen Berg erwählt" (Tempelberg in Jerusalem).

"Zeig, Christus, Deine Braut mir, licht und klar:
Wie, ist es die Geschminkte überm Meer,

In reichem Putz? ist's jene, die verstört,
Beraubt, zerlumpt, hier und in Deutschland klagt?


Schläft sie erst tausend, und wacht dann ein Jahr?
Ist wahr, und irrt? bald jung, bald abgelebt?

Hat sieben, oder auch einen Berg erwählt,

Oder auch keinen, einst, jetzt, immerdar?


Wohnt sie hier? oder, fahrendem Ritter gleich,

Muss ich weit reisen, eh mir Liebe wird?

Gib Deine Braut, Herr, allen Blicken preis,

Dass meine Seele Deine Taube wirbt,


Die Dir am meisten treu ist und gefällt,
Wenn sie die Arme öffnet aller Welt."


Solche Fragen sind sehr aktuell, oder?

Mittwoch, 23. Juli 2008

Botschafter fundierten Fachwissens


Grund zum Feiern hat unser bester norddeutscher Komiker. Seine enorme Bandbreite an Bildung ermöglichte es ihm, zum Teil verschüttetes Wissen der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen. Den Kindern bringt er die uralten Geschichten und Märchen nahe. Medizinische Fakten vermittelt er ebenso souverän wie Kenntnisse des angelsächsischen Sprachraums und hochmoderne Branchenkenntnisse des Computerzeitalters.
Deswegen: Danke, Otto! Du hast viel für unsere Nation getan!

Dienstag, 22. Juli 2008

Inschallah?

Gestern sprach ich mit einem 81jährigen Herrn, begrüßte ihn und drückte meine Hoffnung aus, dass er den Aufenthalt in Cuxhaven genießen möge. Kopfschüttelnd winkte er ab. Nein, genießen werde er den Aufenthalt nicht. Man habe ihn quasi zum Urlaub gezwungen.
Nach und nach kam seine Geschichte raus. Er selbst ist schwer krank, kämpft nach etlichen Operationen nun mit einer dritten Krebsart, von der er weiß, dass sie zum Tode führen wird. Außerdem hat er schon jahrelang mit den Folgen eines Arbeitsunfalls zu kämpfen, bei dem er in einen Kabelschacht fiel und bei dem 20 % seiner Körperhaut verbrannte - im Gesicht, am Kopf, Arme und Hände. Und um das Mass voll zu machen, ist seit sechs Jahren seine Frau an Alzheimer erkrankt. Die ersten drei Jahre hat er sie ganz allein gepflegt, jetzt hat er zusätzlich Hilfe durch seine Enkelin. Die hat ihn auch in den Urlaub geschickt. Doch er vermisst seine Frau schrecklich - sie sind seit 60 Jahren verheiratet. Und nun erkennt sie ihn nicht mehr.

Noch unter dem Eindruck des Gesprächs komme ich nach Hause. Hartmut wartet schon auf mich, ist still und bedrückt. Er erzählt, dass seine Kollegin gestorben ist. Eine bis dahin gesunde, junge Ehefrau, Mutter einer achtjährigen Tochter. Ganz plötzlich, vor etwa einer Woche, wurde sie nach heftigsten Kopfschmerzen ohnmächtig, ins Krankenhaus gefahren, wo man eine Gehirnblutung feststellte, sie ins künstliche Koma versetzte und künstlich beatmete. Weitere Gehirnblutungen folgten, in einer Region, die das Atemsystem steuert. Nach festgestelltem Hirntod wurden nun gestern die Maschinen abgestellt.
Warum nur trifft es einige Leute so heftig? Warum trifft es oft die Netten? Warum werden ausgerechnet die Familien, die noch heil sind und funktionieren, so zerrissen und in so unerträgliches Leid gestürzt? Das sind keine Schicksalsschläge - das ist ein Schicksalsbombardement. Das ist wie Krieg. Ist es der Zerstörer, der alles Gute und Gesunde angreifen und vernichten will? Oder passiert es einfach so - sind das nun mal die Bedingungen und Gesetzmäßigkeiten dieser physikalischen Welt? Trotz häufiger Auseinandersetzung mit dem Thema "Leid" komme ich einfach zu keiner guten Antwort.

Freitag, 11. Juli 2008

Love Story


Ich denke, es war etwa 1972 oder 73, als ich diesen Filmklassiker mit Ryan O'Neal und Ali McGraw zum ersten Mal im Kino sah. Er hinterließ einen starken Eindruck bei mir - bis hin zu Zitaten, die ich noch heute kenne. Eben sah ich den Film zum zweiten Mal bei arte. 36 Jahre liegen dazwischen - beide Male habe ich geheult wie ein Schlosshund.
Die Handlung ist ebenso schlicht wie der Titel. Ein Paar, das trotz elterlichem Widerstand gegen die unstandesgemäße Beziehung heiratet und fortan arm, aber glücklich zusammenlebt. Bis das Schicksal zuschlägt - in Form von Leukämie bei Jenny. Sie muss ins Krankenhaus und stirbt in den Armen ihres Mannes.
Sentimentaler Kitsch? Vielleicht. Doch wenn man bedenkt, dass genau solch eine oder ähnliche Situation jedes Paar ereilt ... Ein Partner stirbt, der andere bleibt zurück. Vielleicht nicht in so jungen Jahren. Aber wird es etwa leichter, wenn man alt ist? Man wird eines Tages Abschied nehmen müssen. Der eine oder der andere. Noch konkreter: Entweder mein Mann oder ich werden eines Tages allein sein. Das ist unausweichlich. Ein beunruhigendes, trauriges Gefühl.

Dienstag, 8. Juli 2008

Wurzeln


Gerade war ich mit meiner Mutter zwei Tage in Witten/Ruhrgebiet, um Schwester und Schwager zu besuchen - seit sieben Jahren war ich wohl nicht mehr an der Stätte meiner Kindheit. Fortgezogen war ich vor 27 Jahren. Ein merkwürdiges Gefühl, die Orte aufzusuchen, wo ich aufgewachsen bin. Alles scheint enger und kleiner zu sein. Die Straßen sind schmaler und kürzer als in meiner Erinnerung, die Staßenschluchten dunkler, die Stadt bedrückender. Ruß- und kohlenstaubgeschwärzte Hausfronten, wahllos verbaute Innenstadt, viele ungepflegte Mehrfamilienhäuser.


Aber das alles inmitten wunderbar grüner Landschaft: ein herrliches Ruhrtal, große Mischwälder, Burgruinen, Parks, der Hammerteich, der Kemnader Stausee, das Bergerdenkmal hoch über den Ruhrwiesen.
Genau so zwiespältig ist mein Verhältnis zu meiner Heimat und meiner Kindheit. In den 60ern aufgewachsen, herrschte im "Revier" eine Atmosphäre enger Kleinbürgerlichkeit und Moral, gemischt mit rauer, polteriger Herzlichkeit und Stolz auf seiner Hände Arbeit. Ruhrpottler können ranklotzen. Bergbauer, Stahlarbeiter, Gemischtwarenhändler. Schrebergärten, Gartenzwerge, der Kiosk um die Ecke, das verdiente Bier am Abend. Heute nennt man die zu Industriedenkmälern gewordenen Zechen, Kokereien und Hochöfen der Eisen- und Stahlhütten "Kathedralen der Arbeit".
Mein Vater war selbstständiger Handwerker, sein Fleiß und seine stille Zuverlässigkeit hat er uns fünf Kindern vererbt. Das Leben war hart, Geld war immer zu knapp, Zeit auch, und man musste sich durchkämpfen. Meine Schwester und ich schwelgen in Erinnerungen. Auf den Tisch kamen Steckrübeneintopf und Brotsuppe. Zum Geburtstag mal Kakao, aber niemals Limonade wie bei meinen Freundinnen. Wenig Spielzeug. Wir behalfen uns mit Phantasie. Laubhütten im Feld, Rollschuhrennen bis zum Ende der Straße (und Löchern in der Strumpfhose, wenn man mal wieder hingefallen war), Sandkochen auf einem ausrangierten Herd, der bei irgendwem im Garten stand. Eine Kindheit wie viele. Glücklich? Ja .... aber auch nein. Die oft empfundene Bedrückung konnte ich nur beim Spielen vergessen.
Es war schön, sich in den letzten Tagen mit meiner Schwester auszutauschen. Spazieren zu gehen. Die Wälder mit dem alten Baumbestand, der Blick ins Ruhrtal. Das Elternhaus, in dem sie jetzt mit ihrer Familie wohnt und in dem durch ihre schöne Umgestaltung Licht, Luft, Weite und Farbe eingezogen ist. Dann ein Zusammentreffen, bei dem ich mir das Lachen verkneifen musste: als meine Mutter, meine Schwester und ich gerade wieder ins Haus gehen wollten, kam ein Nachbar mit seinem Haund auf uns zu, ein alter Schulkamerad meiner Mutter und ein Ruhrpottoriginal, wie es im Buche steht. Vergleichbar mit Jürgen von Manger alias Adolf Tegtmeier (gesprochen:"Teechtmaja"), ein Schauspieler, der in den 70ern sehr populär war, mit dem breitesten Ruhrpottslang, den man sich vorstellen kann. Zitat: „Wilhelm Tell, dat is von diesen berühmten Dichter, na, ich komm’ jetz nich auf den sein Name – der auch Schillers Räuber geschrieben hat. – Merkwürdig, wat dieser Tell sachte, dat war’n alles Sprichwörter, Die Axt in Haus … und wat er da alles von Stapel ließ.“
So auch der gut 80jährige Hellmut, der meine Mutter ansprach: "Also, hömma, wenn dat nich die Christel is ..." Und es folgte ein Redeschwall, den man in Norddeutschland als Seemannsgarn bezeichnen würde. Ereignisse aus der Nachbarschaft und der alten Klasse wurden aufgefrischt. "Ey, hömma, die Wilma, mit der is ja auch nich mehr viel los, die is ja auch schon ganz klapprich, wonnich?" So ging's weiter, und ich habe mich königlich amüsiert. Nachdem er dann uns drei Damen noch jeder einen Kuss auf die Wange gedrückt hatte, brauchten wir erst einmal eine Erholungspause.
Gut war es, mit meiner Schwester noch einmal über unseren Vater zu sprechen, der vor drei Jahren verstorben ist. Über seinen Charakter, über sein Leben, über seine Krankheit und sein Sterben. Das alles geht uns immer noch nach und nah.
Schöne Tage. Aber ich spüre auch, dass mein Herz die alte Heimat längst verlassen hat und frische Wurzeln in meiner liebenswerten norddeutschen Heimat geschlagen hat, dort, wo das Meer den Rand Deutschlands berührt, wo Himmel und Horizont weit sind und die Wege eben, wo Freiheit weht und Luft zum Atmen ist.