Samstag, 26. Februar 2011

Annikas Zuhause im Kongo

Der Fuhrpark

"Eine schöne Station" war mein erster Gedanke.
Ein weites, ebenes Gelände, direkt bei Aru, die Gebäude locker verteilt - nicht zu eng und nicht zu weit voneinander: eine Kfz-Werkstatt, eine Tischlerei, die Radiostation, die Generatorhütte, eine kleine Trompetenwerkstatt, ein Doppelhaus (ein Teil Teamhaus mit Unterkünften für die Jungs; der andere Teil Zuhause für das Stationsleiterehepaar), das "Mädchenhaus" samt Büro und schließlich ein Gästehaus, wo wir zusammen mit einer Missionarin auf Besuch aus Bunia wohnen durften.
Das Büro, wo alle Fäden zusammen laufen

Die Tischlerwerkstatt


Elektroverkabelung auf afrikanisch ...

Zentral gelegen der gemeinsame Treffpunkt für alle auf der Station: eine offene strohüberdachte Hütte mit einfachen Bänken an den Wänden - die morgendlichen Andachten, Chaipausen und die Mittagsmahlzeiten finden hier statt.
Der Zaun um das Gelände eher eine Lachnummer, nicht sehr hoch und im Zweifelsfall auch nicht sicher. Doch das Verhältnis zur nahen Bevölkerung ist gut.
Die Station liegt nahe der Grenze zu Uganda, nur ca. 30 Minuten entfernt. Eigentlich sind wir illegal (ohne Visum) da. Annika hat da irgendwas mit den Grenzbeamten ausgekungelt. Drei Schlagbäume müssen überwunden werden: auf Uganda-Seite, dann der Zoll und schließlich die "Emigration"-Station auf Kongo-Seite. Überall kennt Annika die Beamten, macht smalltalk, bevor es zur Sache geht. Spannend, wie sic in drei Sprachen unterwegs ist: Englisch, Französisch, Lingala. Wir sind ganz schön stolz auf sie, wie souverän sie das alles meistert. Von einem der Grenzbeamten bekommt sie regelmäßig Heiratsanträge ...
Auch als wir zu Fuß im Dorf unterwegs sind, wird Annika von allen Seiten gerufen, begrüßt, umarmt, in Gespräche verwickelt ... Wir stehen staunend daneben. Ist das wirklich unsere Tochter? Sie ist ganz bei den Leuten, fühlt sich wohl, ist zuhause. Am richtigen Platz.
Wir tauchen ins Stationsleben ein: Früh um halb Acht beginnt es mit der gemeinsamen Andacht. Im Kreis sitzen wir mit den DIGUNA-Leuten und den einheimischen Mitarbeitern, singen Lieder auf Lingala, hören ein paar Gedanken von einem der Mitarbeiter auf Französisch, die vom Leiter auf Deutsch übersetzt werden, beten. Am späten Vormittag ist gemeinsame Chai-(Tee-)Pause: Es gibt stark gesüßten schwarzen Tee mit einer Menge Zitronensaft, dazu Erdnüsse. Zuerst traue ich meinen Augen kaum: Die Erdnüsse werden geknackt und die Schalen einfach auf den Boden geworfen. Annika erklärt, das sei hier so üblich. Die Küchenmammis fegen anschließend einfach den Boden ... Wir merken schon, "andere Länder, andere Sitten". Ohnehin muss man in Afrika die Prägung als "deutsche Hausfrau" tunlichst vergessen, wenn man hier einigermaßen klar kommen will. Ich denke nur an die Kakerlaken, die wir regelmäßig morgens auf dem kahlen Betonboden unserer Hütte finden.


Eine der Küchenmammis - bei 35°C 'ne Wollmütze auf dem Kopf ...

Mittags von den zwei Küchenmammis zubereitete Mahlzeiten: Reis mit Bohnen, Reis mit Kohl, Reis mit Maniokblättern, Fufu (Maniokwurzelbrei) ... immer vegetarisch. Am besten schmecken mir Reis mit Bohnen - gar nicht so übel!
Im Dorf besuchen wir eine Schneiderin. Hartmut hatte sich in Arua einen der typischen afrikanisch-bunten Stoffe gekauft, aus dem er sich jetzt ein Hemd schneidern lassen will. Für nur 1,50 €! Na ja, das Ergebnis ist nicht gerade brilliant - was will man erwarten von einer Arbeit, die im Halbdunkel einer kleinen Hütte entsteht. Die Taschen ein bisschen schief aufgesetzt, die Nähte nicht alle gerade ... aber eine handfeste Erinnerung!
Wir besuchen auch das "Krankenhaus" im Dorf, das eine Einrichtung der örtlichen Kirche ist - fünf Minuten von der Diguna-Station entfernt. Hier hat Annika das erste halbe Jahr auf der Entbindungsstation gearbeitet. Man kann es so gar nicht mit unsere Krankenhäusern vergleichen. Die Kranken werden lediglich medizinisch versorgt - für die Pflege und das Essen müssen Angehörige selbst sorgen. Hygienische Verhältnisse? Schwierig ... Offene Fenster, wo Insekten und Krabbelgetier ein- und ausgehen, Vielbettzimmer ohne große Reinigung, Kreissaal mit Betonboden und bunt zusammengewürfelten Instrumenten, manche davon verrostet - von "steril" keine Rede!

Mehrbettzimmer mit "häuslicher Pflege"

Das Labor - nicht nur unser zu Guttenberg hat mit wissenschaftlich korrekten Standards zu kämpfen ...

Abends sind wir bei Buschers, dem Leiterehepaar eingeladen. Es gibt Zwiebelkuchen, lecker! Wir fühlen uns wohl, haben nette Gespräche - und gemeinsame Bekannte in Cuxhaven. Ihre beiden Kinder sind zu süß - die Tochter erinnert uns an unsere Enkelin Sara im gleichen Alter. Mit ihr freunden wir uns schnell an.
Beim Rundgang auf der Station lernen wir viele der einheimischen Mitarbeiter kennen. Schon vorher hatte uns Adriko, ein kongolesischer Handwerker eingeladen, zu ihm zu Hause seine Familie zu besuchen.


Adriko in seiner Werkstatt

Am nächsten Abend gehen wir also los , vorbei an einem Bolzplatz, wo die heimische Jugend Fußball spielt - auch eine Arbeit der DIGUNA, dann 2 km durch den Busch. Unterwegs begegnen wir einer Familie, die auf Hölzern Schlagzeug spielt - keine spontane Musik-Session, sondern Nahrungsbeschaffung: Termiten in der Erde denken bei dem Trommelgeräusch, dass es regnen würde und kommen schnell an die Erdoberfläche, um nicht abzusaufen. Tja, vom "Regen" in die Traufe: Dort werden sie von der Familie eingesammelt, die Flügel werden entfernt, sie werden geröstet und als willkommene Eiweißzufuhr verspeist. Annika hat so was natürlich auch schon probiert: geröstete Termiten sollen angeblich wie Erdnussflips schmecken.

"Termitentrommeln"

Schließlich kommen wir an einer strohgedeckten Hütte mit Lehmboden an. Strahlend begrüßt uns Adriko, stellt und seine Frau und seine fünf Jungs vor.
In der dämmerigen Hütte stehen ein niedriger Tisch und vier Stühle. Später werden sie zur Seite geräumt werden, um den Schlafmatratzen für die Nacht Platz zu machen. Dritsiru trägt eine Schüssel mit warmem Wasser herein, uns werden darin die Hände gewaschen. Dann serviert sie uns Fufu, Tomaten-Palmöl-Sauce, Hühnchen, frittierte Kartoffeln und Gemüse. Das Beste vom Besten! Ich stelle mir vor, wie lange sie für diese Mahlzeit haben sparen müssen und mir ist nicht wohl dabei. Doch sie präsentieren das Essen voller Freude und Stolz. Das ist die sprichwörtliche Gastfreundschaft der Armen. Adrikos Frau isst nicht mit uns - das ist nicht üblich. Sie wird später die Reste zusammen mit ihren Kindern und ihrer Freundin essen. Trotzdem merkt man, dass die beiden ein liebevolles partnerschaftliches Verhältnis zueinander haben.
Wir verständigen uns mit Hilfe von Annikas Französisch-Übersetzung und auch ein bisschen mit Englisch. Adriko stammt aus Uganda und kann daher ein wenig Englisch, ist aber schon als Jugendlicher in den Kongo gekommen. Als wir ihn nach seinen Erlebnissen im Kongokrieg fragen, ist er zurückhaltend. Wie so viele hat er Schlimmes gesehen. Aber sonst ist der Abend unbeschwert und wir lachen viel. Humor ist international!
Zum Schluss sagt Adriko: "Hier ist noch der Hühnermagen, den bekommt immer der Chef!" - Hühnermagen ist angeblich das Beste vom Hühnchen ... Hartmut will mir schon Leid tun, da überreicht Adriko Annika feierlich den Hühnermagen! "Annika ist mein Chef!" betont Adriko, obwohl sie es doch nur ein paar Monate in Vertretung des Leiterehepaares war. Doch in seinen Augen ist sie es immer noch. Annika beißt ohne mit der Wimper zu zucken hinein und kaut genüsslich. Ihhh!
Als wir die Familie später um ein Foto bitten, bricht hektisches Treiben hinter dem Vorhang aus. Dritsiru und ihre Freundin, die ihr beim Kochen geholfen hatte, kleiden sich in ihre schönsten Gewänder, und die Jungs werden in ihre besten Hosen gesteckt - erst dann präsentieren sie sich stolz der Kamera. Inzwischen ist es stockdunkel geworden ...


Die Familie von Adriko: eine Freundin, seine Frau Dritsiru und seine fünf Jungs



Annika mit Salomo, dem jüngsten Sproß von Adriko und Dritsiru

Ganz beeindruckt und beglückt wandern wir später durch den finsteren Busch nach Hause. Gut, dass wir Taschenlampen mitgenommen haben - so gerne würde ich nicht versehentlich auf eine Schlange treten.
Während der nächsten Tage erleben wir das Team bei Pausen und bei der Arbeit in den Werkstätten, in der Küche, beim Wasserholen an der Quelle (die Zisterne, die während der Regenzeit Regenwasser - zum Duschen, Kochen, Trinken - auffängt, ist nahezu leer). Alle Arbeit dient dazu, um z.B. das Equipment - Autos, Technik etc., für Evangelisationen im Landesinnern betriebsbereit zu halten.
Die Zeit im Kongo geht unheimlich schnell vorbei, aber wir haben einen intensiven Eindruck gewinnen können, wie Annika hier lebt. Gebete für sie und die Station können wir jetzt viel konkreter formulieren - und wir wissen, dass es ihr hier gut geht.
Nach drei Tagen fahren wir von Aru wieder nach Arua auf die dortige Station - für einen Tag und eine Nacht.
Dann geht es weiter zu unserer letzten Etappe...

Sonntag, 20. Februar 2011

Auf Safari

Am zweiten Tag früh am Morgen - es ist noch dunkel - stolpern wir samt Gepäck über einen steilen, natürlich unbeleuchteten Lehmweg mit tiefen Schlaglöchern den Berg hinunter vom Gästehaus zur Hauptstraße, wo uns das unvermeidliche Matatu aufgabelt und zur GaaGaa- Station bringt - ein christliches Busunternehmen. Wir möchten gen Norden fahren, nach Arua, wo die ugandesische DIGUNA-Station ressidiert. Christlich? Na ja, die taffe symphatische Reisebegleiterin betet mit allen Reisenden zu Beginn der Fahrt um Bewahrung (das ist auch nötig bei der halsbrecherischen Art, wie man sich in Uganda auf Straßen fortbewegt) und verbreitet frohe Laune. Warum wir denn so griesgrämig aussähen? Kein Grund! Alle haben doch einen Sitzplatz! Also wischen wir uns die Müdigkeit des frühen Aufstehens aus den Augen, kuscheln uns diesmal als Familie in eine Dreierbank und fahren der Morgendämmerung entgegen. Acht Stunden Fahrt liegen vor uns.
Die "Vororte" von Kampala, die ich als Slums bezeichnen würde, schocken mich doch ein bisschen, obwohl ich innerlich gewappnet war, solchen Verhältnissen zu begegnen. Längs der Staße stehen Bretterbuden oder kleine Hütten aus rotem Lehm, auf rotem Boden, innen mit Fundament aus festgestampfter roter Erde, mit Wellblech oder Stroh gedeckt. Wäsche liegt zum Trocknen auf den Hausdächern, die mit einer dicken Schicht roten Staubs bedeckt sind. Kinder sitzen auf winzigen Vorplätzen und spielen mit Zweigen oder Steinen. Frauen stampfen irgendwas zu Brei oder waschen Wäsche in Plastikschüsseln. Hier gibt es natürlich kein fließendes Wasser, keinen Strom, keinen Zugang zu sanitären Anlagen, keine Müllabfuhr. Und genau so sieht es hier auch aus.
Für die meisten Erdenbewohner gelten solche Lebensumstände als "normal" - dabei denken wir Westeuropäer, unsere Lebensweise sei "normal" - wie ignorant! 1,2 Millarden Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Was das in einem so heißen Klima bedeutet, haben auch wir , wenn auch nur ansatzweise, gemerkt. Ständig sind wir auf der Suche nach trinkbarem Wasser. Alle paar Stunden mussten wir unsere Vorräte an Wasserflaschen ergänzen - irgendwie anstrengend. Auch Toiletten gibt es nicht an jeder Ecke. In der Stadt kann man eventuell noch in einem Café auf's Klo gehen (wobei dort die WC's in einem unbeschreiblichen Zustand sind). In einem Café in Jinja fand ich ein völlig versifftes, verschmiertes und entsprechend unbenutzbares Örtchen vor, an dessen Tür ironischerweise ein Zettel hing: "Are you thankfull for this toilet?"- und dann folgte ein schlechtes-Gewissen-machender Hinweis darauf, dass schließlich ein großer Teil der Weltbevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Toiletten hat. Na ja, ich verließ das Örtchen jedenfall unverrichteter Dinge und - wie unchristlich - äußerst undankbar.
Ähnliche Schwierigkeiten auf der Busfahrt. Nur einmal hält er nach zwei Stunden - ein paar Leute steigen aus, verschwinden hinter Hütten, und nach fünf Minuten geht es weiter, noch bevor wir Zurückgebliebenen realisiert haben, dass dies unsere einzige und letzte Chance zum "Austreten" war.

unterwegs

Danach brettern wir weitere sechs Stunden durch Busch und Dörfer. Wohl hält der Bus noch mehrmals kurz, doch ohne Gelegenheit auszusteigen. Statt dessen kommt die Dorfbevölkerung an unser Gefährt und bietet durchs Fenster Bananen, Wasser, lebende Hühner und - als Ladenhüter - mehrfach wieder neu geröstete und daher inzwischen kohlschwarz verbrannte Fleichspieße an.

Straßenverkauf

Was die natürlichen Bedürfnisse angeht - man schwitzt "es" einfach aus ...
Unsere nette Reisebegleiterin weist uns auf die Bestimmung hin, dass unterwegs gekaufter Fisch und lebende Hühner außen an den Bus angebunden werden müssten. Doch wer hält sich hier schon an Regeln? So gackert das eine oder andere Huhn (kopfüber transportiert) im Fahrgastraum.
Abends kommen wir erschöpft auf der DIGUNA-Station in Arua an. Ein schlichtes, aber freundliches Zimmer mit Betten, Moskitonetz und sogar einem gefliesten Bad (purer Luxus!) erwarten uns. In den nächsten Tagen lernen wir das Team dort näher kennen und haben jede Menge Gespräche, Besuche, gemeinsame Mahlzeiten. Jeder hat seine Geschichte zu erzählen - spannend! Am zweiten Tag kommt Annikas Team aus Aru mit einem uralten LKW angefahren. Zu siebt werden wir mit diesem Klapperteil auf Safari gehen. Am nächsten Morgen noch vor Sonnenaufgang brechen wir auf.

Annikas Kongo-Team: Danika, Dorothe, Jo-Jo, Christian, Annika
Gute zwei Stunden fahren wir, dann erreichen wir den Murchison Falls Park. Wir zahlen unsere 30 Dollar und schon sind wir mitten drin. Annika fährt, Hartmut sitzt auf dem Beifahrersitz, und wir anderen fünf lassen uns auf der offenen Ladefläche ordentlich durchrütteln - die Bandscheiben lassen grüßen. Dafür haben wir frische Luft und Natur zum Anfassen. Bald sehen wir Antilopen, Warzenschweine (Pumbaa!) und in der Ferne erste graue Dickhäuter. Schlag auf Schlag folgen dann Giraffen, Wasserbüffel und - atemberaubend - nur ein paar Meter von uns entfernt eine Herde Elefanten.
Drohgebärde - kommt uns ja nicht zu nahe!

Wir können gar nicht schnell genug von rechts nach links wechseln, um alles mitzubekommen. Die afrikanische Landschaft ist wunderbar, die Tierwelt faszinierend, die Luft flirrend - einfach berauschend. An dieser Stelle kann ich diejenigen verstehen, die sich vom Fleck weg in den Kontinent Afrika verliebt haben ...
Plötzlich steigt uns Brandgeruch in die Nasen, und als wir um eine Kurve fahren, sehen wir einen kleinen Buschbrand rechts und links unseres Weges. Ein bisschen mulmig wird mir schon, zumal wir uns dann auch noch im feinen Sand festfahren. Schnell ausgestiegen (was eigentlich nicht erlaubt ist), gebuddelt und angeschoben - schon sind wir wieder frei und passieren ohne Schaden das Feuer. Immer wieder mal sehen wir rechts von uns den Nil aufblitzen.

Der Weiße Nil

Gegen Mittag parken wir am Ufer, von wo aus kleine offene Boote zu Nilfahrten starten. Annika hat vorher telefonisch gebucht, so können wir direkt einsteigen, und es beginnt eine erfrischende Fahrt auf dem Wasser. Auch hier bekommen wir wieder die überwältgende Tierwelt zu sehen: Nilpferde, Wasserbüffel, Elefanten und sogar Krokodile. Über uns schwebt ein Weißkopfadler.

Endstation ist ein Felsen im Wasser, von dem aus man den gigantischen Wasserfall in der Ferne bewundern kann.
Abends, nachdem wir die Nilfähre genommen haben, kommen wir am Red Chilli Camp an, wo wir übernachten - Hartmut und ich als "Senioren" in einer kleinen Hütte, das Jungvolk auf der Ladefläche des LKWs. Lecker Abendessen in der Freiluft-Lounge, dann gute Nacht!
Am nächten Morgen beschließen wir, uns den Wasserfall "von oben" anzuschauen. Donnernd drücken sich die Wassermassen durch die enge Schlucht. Dauer-Regenbogen entstehen aus Licht und Gischt. Es braust und spritzt aus voller Kraft, gigantisch.
"Das Spektakulärste, was dem Nil auf seiner Reise zum Mittelmeer geschieht" sagte einst Winston Churchill zu den MurchisonFalls.
Christian, ein kongolesischer Freund von Annika, verbirgt das Gesicht in seine Arme und betet. Das ist die einzige Haltung, die angesichts solcher Schöpfung angemessen ist. Ich folge innerlich seinem Beispiel.


Lange verweilen wir an dem Ort, bevor wir uns auf den Heimweg machen - und zwar direkt in den Kongo, nach Aru, zu "Annikas" Station.

Samstag, 19. Februar 2011

Mammas, Matatus und Maniok

Eingequetscht zwischen einer fülligen afrikanischen Mamma und einem Vater mit seinem vielleicht 10jährigen Sohn auf dem Schoß versuche ich mich einigermaßen einzurichten. Schmerzhaft bekomme ich einen Ellenbogen in die Rippen gestoßen, mein Knie stößt unsanft an die Eisenstange des Vordersitzes, es ist stickig und heftig heiß. Egal - wir haben noch einen Platz im Matatu (Sammeltaxi) nach Kampala bekommen.
Als Annika uns fragte, was wir zu Beginn unseres Besuches bei ihr am liebsten machen würden, ob wir uns z. B. erst in Ruhe aklimatisieren wollen, antworteten wir: Nein, nein, mitten hinein ins volle Leben. Keine Schonung für uns.

Das haben wir nun davon. Ein Matatu - das übliche Fortbewegungsmittel in Uganda - hat 15 Sitzplätze, einen davon für den Fahrer und einen für den Beifahrer, der hinten sitzt, die Leute unterwegs am Straßenrand einsammelt, hinein- oder hinausbefördert und abkassiert. 15 belegte Sitzplätze sind aber durchaus kein Zeichen für ihn, dass der Kleinbus voll ist. Im Gegenteil. Dann geht's erst richtig los! Mit sichtbarer Freude nimmt der Beifahrer die Herausforderung an, bis zu 22 Personen + Gepäck in die Kutsche zu schichten. Ein Raumwunder - und das bei 35 °C im Schatten. Wellness-Urlaub mit Gratis-Sauna! Wer hätte das erwartet ...
Hartmut mit seinen langen Beinen hat man zusammen mit einer jungen hübschen Ugandesin nach vorne neben den Fahrer verfrachtet (der Glückliche!), Annika sitzt irgendwo hinten in den Tiefen des rollenden Kabuffs. Ich habe immerhin meinen Platz in der Nähe eines offenen Fensters gefunden. Der Fahrtwind tut gut, auch wenn er jede Menge roten Staubs hineinwirbelt.
Dazu brüllt uns das Autoradio fröhlich swahilische Werbung in die Ohren. Unterwegs bekommen wir einen ersten Eindruck von Uganda. Oder besser einen zweiten. Der erste war am Abend zuvor der Anblick einer zappelnden sieben Zentimeter großen Kakerlake auf dem Boden unseres Zimmers in einem Gästehaus zwischen Entebbe, von wo aus uns Annika abholte, und Kampala.
Dort hatten wir auch schon einen Teil von Annikas super-nettem DIGUNA-Team aus Aru (Kongo) kennengelernt, die gerade in Kampala Besorgungen machten. Alles, was auf Station über Grundnahrungsmitteln wie Obst, Reis, Bohnen, Maniokmehl etc. hinaus gebraucht wird, gibt es nicht im Kongo, sondern muss in Uganda mühsam organisiert werden; technische Kleinteile, Arztbesuche und Behördenkram sogar in Kampala (600 km von Aru entfernt).
Auf der Staße zu Ugandas Hauptstadt reihen sich Händler an Händler. Unter abenteuerlich gezimmerten offenen Ständen, gedeckt mit Wellblech, Stroh oder Lumpen, bieten sie ihre Waren an: Kleidung, Ananas, Melonen, Möbel, Matratzen, Plastikgeschirr, Körbe, Cola ... Frauen mit ihren Lasten auf dem Kopf laufen aufrecht am Straßenrand, Fahradfahrer schieben ihr Gefährt, das beladen ist mit Bananenstauden, Eisenstangen oder lebenden Hühnern, dem nächsten Markt zu.
In Kampala steigert sich dieses Gewirr um ein Vielfaches. Das Matatu spuckt uns aus und mitten hinein in ein unbeschreibliches Chaos: Massenhaft Autos auf vierspurigen Straßen, Stoßstange an Stoßstange, hunderte von Pikipikis (Motorradtaxis), Wogen von Fußgängern, die sich unter Lebensgefahr im Verkehr bewegen. Rote Ampel? Regeln? Spuren? Fußgängerüberwege? Totale Fehlanzeige - hier fährt jeder, wie es ihm passt und wo gerade eine Lücke ist. Wozu ist schließlich die Hupe da? Demzufolge hupt wirklich jeder wie verrückt - eine einzige Kakophonie. Wir versuchen eine Straße zu queren. Es ist völlig sinnlos zu warten - die Straße wird niemals frei, und es fühlt sich auch kein Auto- oder Motorradfahrer jemals bemüßigt, anzuhalten. Also läuft man einfach los und hofft, irgendwie mit dem Leben davon zu kommen. Im Zickzack und Eilschritt geht es durch den fließenden Verkehr, es geht zu wie beim "Verrückten Labyrinth", nur tausendmal schneller. Man muss hier gute Reaktionsfähigkeiten haben ...
Jetzt verstehe ich auch, warum sich hinten auf fast jedem Matatu ein Aufkleber befindet: "God cares", "Jesus is my security" oder einfach ein schlichtes "Halleluja!" für Christen; entsprechende Pendants mit "Allah cares" und ähnlichem für Moslems. Mit solchen aufmunternden und zweckoptimistischen Sprüchen muss man doch einfach heil durch den Verkehr kommen ...


Die Stadt ist überfüllt mit Menschen, furchtbar laut, beißende Abgase steigen einem in die Nase (Katalysator? Was ist das?), Müllberge aus verfaultem Obst, Papier und leeren Plastikflaschen säumen alle Straßen. Dazu der allgegenwärtige rote Staub, der in der Luft hängt und alles mit einer dicken Schicht bedeckt - jetzt in der Trockenzeit besonders ätzend. Eine Lieblingsfrage unserer Tochter: "Habt ihr auch so rote Popel?"
Auf jeder freien Fläche, und sei sie noch so winzig, machen sich Kleinsthändler breit und verkaufen Erdnüsse, Bananen, Sesamplätzchen oder Sonnenbrillen. Die witzigste Kombination von Waren habe ich bei einem jungen Mann gesehen: Wattestäbchen und Federballschläger. Keine Ahnung, ob der je einen Käufer findet. Eher unwahrscheinlich.


Kinder sitzen bei ihren Müttern im Dreck am Straßenrand. Ich wundere mich, dass sie dieses stundenlange Stillsitzen aushalten (es gibt ja keinerlei Auslauf ein paar Zentimeter vom Staßenverkehr entfernt!) - und das bei dem Lärm und dem Staub. Vieles ist für unsere westlichen Augen schwer zu ertragen - die Lebensumstände dieser Kinder gehen mir schon sehr nahe.
Annika führt uns zum Second-Hand-Markt, und wir tauchen ein in eine enge, düstere, seltsam irreale Welt. Die aus Holzbrettern geschusterten Stände stehen dicht an dicht und sind mit zerfetzten Lumpen bedeckt, die einander überlappen. So dringt kaum ein Sonnenstrahl zu uns; im Dämmerlicht werden wir durch schmale Gänge zwischen Schuhen, Tisch-und Küchenwäsche, Klamotten und Tüchern geschleust. Wo kommt das alles nur her? Landen hier unsere Rote-Kreuz-Säcke mit Altkleidern? Sieht fast so aus. "Muzungu, Muzungu!" schallt es von überall her. "Weiße! Weiße!". Das könnte ein Geschäft werden ... aber nicht mit uns. Wir sind viel zu sehr damit beschäftigt, uns durch das unüberschaubare Gewirr zu schlängeln, vorwärtsgetrieben durch die nachfolgende Masse. Von allen Seiten werden wir genötigt, uns die Waren anzuschauen, gerne auch mit körperlichen Aufforderungen. Intimsphäre? Was ist das? Hier hat keiner Hemmungen, uns beim Arm zu fassen, auf die Schulter zu klopfen ("Hey, my friend! ..."), uns im Rücken ein bisschen in die richtige Richtung zu schieben.
Dann bekommen wir ein tolles Schauspiel von Handelskunst geboten, initiiert von unserer Tochter höchstselbst. Sie meint, noch eine Bluse brauchen zu können und ihr geschultes Auge hat in dem gnadenlosen Wirrwarr von Angeboten ein annehmbares Exemplar gesichtet. Sie weiß nach 18 Monaten in Afrika, wie der Hase dort läuft.
Kitischen Blicks läßt sie den Blusenstoff durch ihre Finger gleiten. Leicht desillusioniert legt sie ihn wieder weg, greift erneut danach, um schließlich zu fragen: "How much is it?" Dazu muss man wissen, dass die Ugandesen ein grottenschlechtes Englisch sprechen - unelegant und platt. Und genau dieses Englisch hat sich unsere Tochter in den letzten Monaten angewöhnt ...
"15.000!" die Antwort der Händlerin. 15.000 Ugandesische Schilling - das sind umgerechnet knappe 5 Euro. Zu viel für diese Verhältnisse. Viel zu viel.
Und so geht's los:
Annika erstaunt: "Oh, no, not really!"
"Yes, 15.000."
"That's too expensive. Give me a better price!"
"Okay. 13.000."
"No, no. That's Muzungu-price!" (mit diesem Satz erntet unsere Tochter fast jedes Mal ein Lachen oder mindestens ein Lächeln vom Händler).
"No, that's not Muzungu-price! 13.000 it's okay."
"No, it's not okay! Give me your best price!"
"12.000 is my best price. I give it for 12.000."
"No, it's still too expensive. I give you 5.000 for this."
"Oh no, ..." usw. Die Diskussion wogte noch weitere 10 Minuten hin und her, bevor unser werter Nachwuchs die Bluse niederlegte, ohne Kaufabschluss und mit einem Abschiedsgruß auf den Lippen zehn Meter weiterging, nur um von der Verkäuferin zurückgerufen zu werden und das Verhandeln erneut seinen Verlauf nahm.
Am Ende zog Annika triumphierend mit einer netten schwarzen Bluse für 6.500 Schilling davon. Wichtigster Grundsatz beim Handeln: Gelassen, ja regelrecht gelangweilt auszuschauen. Anders als z.B. bei südeuropäischen Händlern, wo es laut, lebhaft und mit Händen und Füßen zur Sache geht, ist hier gespielte Gleichgültigkeit angesagt. Ruhig und unaufgeregt sprechen, dabei gelangweilt die Blicke über Nachbarstände schweifen lassen, zu tun, als habe man alle Zeit der Welt, das hat Töchterchen inzwischen drauf und verfehlt nicht seine Wirkung. Nichts ärgert sie mehr, als wenn sie das Gefühl hat, als Weiße über den Tisch gezogen zu werden. Sie möchte in allem ein Teil Afrikas sein, doch leider ist ihre Hautfarbe da manchmal im Weg.


Mittags ruhen wir unsere müden Knochen bei einem vegetarischen Inder aus. Als wir bei der Wahl der Mahlzeit unentschlossen sind, serviert uns der nette indische Restaurantbesitzer eine kleine Auswahl von Speisen zur besseren Entscheidung. Alles ist sehr lecker - und wir kommen in den Genuss von einer kostenlosen Vorspeise ...
Viele Geschäfte hier sind in indischer Hand. Ich muss noch mal forschen, warum das so ist.
Nachmittags bummeln wir noch ein bisschen im "reicheren" Bankenviertel herum. Massenhaft sitzen riesige Marabus in den Bäumen, so wie bei uns die Tauben ...
Bevor wir ein Einkaufszentrum für einen Milchshake betreten, das ähnlich wie westliche Shoppingmeilen (wenn auch mit weniger Angeboten) aufgebaut ist, werden wir von einer Security abgescannt ... Vor jeder Bank stehen solche Sicherheitsbeamte, durchsuchen Taschen und durchleuchten mit Metalldetektoren, bevor man eingelassen wird. Die Präsenz von Polizei, Militär und anderen Uniformträgern ist auffällig.
Wir merken, dass wir nicht mehr viel aufnehmen können und machen uns bald auf den Heimweg - wieder mit dem Matatu - zu unserem Gästehaus. Dort treffen wir "unsere" Leute wieder und haben ein vergnügliches Abendessen mit gekochter Banane (nicht süß!) und Erdnusssauce. Lecker! Das war unser erster Tag in Afrika ...