"Eine schöne Station" war mein erster Gedanke.
Ein weites, ebenes Gelände, direkt bei Aru, die Gebäude locker verteilt - nicht zu eng und nicht zu weit voneinander: eine Kfz-Werkstatt, eine Tischlerei, die Radiostation, die Generatorhütte, eine kleine Trompetenwerkstatt, ein Doppelhaus (ein Teil Teamhaus mit Unterkünften für die Jungs; der andere Teil Zuhause für das Stationsleiterehepaar), das "Mädchenhaus" samt Büro und schließlich ein Gästehaus, wo wir zusammen mit einer Missionarin auf Besuch aus Bunia wohnen durften.
Die Tischlerwerkstatt
Elektroverkabelung auf afrikanisch ...
Zentral gelegen der gemeinsame Treffpunkt für alle auf der Station: eine offene strohüberdachte Hütte mit einfachen Bänken an den Wänden - die morgendlichen Andachten, Chaipausen und die Mittagsmahlzeiten finden hier statt.
Der Zaun um das Gelände eher eine Lachnummer, nicht sehr hoch und im Zweifelsfall auch nicht sicher. Doch das Verhältnis zur nahen Bevölkerung ist gut.
Die Station liegt nahe der Grenze zu Uganda, nur ca. 30 Minuten entfernt. Eigentlich sind wir illegal (ohne Visum) da. Annika hat da irgendwas mit den Grenzbeamten ausgekungelt. Drei Schlagbäume müssen überwunden werden: auf Uganda-Seite, dann der Zoll und schließlich die "Emigration"-Station auf Kongo-Seite. Überall kennt Annika die Beamten, macht smalltalk, bevor es zur Sache geht. Spannend, wie sic in drei Sprachen unterwegs ist: Englisch, Französisch, Lingala. Wir sind ganz schön stolz auf sie, wie souverän sie das alles meistert. Von einem der Grenzbeamten bekommt sie regelmäßig Heiratsanträge ...
Auch als wir zu Fuß im Dorf unterwegs sind, wird Annika von allen Seiten gerufen, begrüßt, umarmt, in Gespräche verwickelt ... Wir stehen staunend daneben. Ist das wirklich unsere Tochter? Sie ist ganz bei den Leuten, fühlt sich wohl, ist zuhause. Am richtigen Platz.
Wir tauchen ins Stationsleben ein: Früh um halb Acht beginnt es mit der gemeinsamen Andacht. Im Kreis sitzen wir mit den DIGUNA-Leuten und den einheimischen Mitarbeitern, singen Lieder auf Lingala, hören ein paar Gedanken von einem der Mitarbeiter auf Französisch, die vom Leiter auf Deutsch übersetzt werden, beten. Am späten Vormittag ist gemeinsame Chai-(Tee-)Pause: Es gibt stark gesüßten schwarzen Tee mit einer Menge Zitronensaft, dazu Erdnüsse. Zuerst traue ich meinen Augen kaum: Die Erdnüsse werden geknackt und die Schalen einfach auf den Boden geworfen. Annika erklärt, das sei hier so üblich. Die Küchenmammis fegen anschließend einfach den Boden ... Wir merken schon, "andere Länder, andere Sitten". Ohnehin muss man in Afrika die Prägung als "deutsche Hausfrau" tunlichst vergessen, wenn man hier einigermaßen klar kommen will. Ich denke nur an die Kakerlaken, die wir regelmäßig morgens auf dem kahlen Betonboden unserer Hütte finden.
Eine der Küchenmammis - bei 35°C 'ne Wollmütze auf dem Kopf ...
Mittags von den zwei Küchenmammis zubereitete Mahlzeiten: Reis mit Bohnen, Reis mit Kohl, Reis mit Maniokblättern, Fufu (Maniokwurzelbrei) ... immer vegetarisch. Am besten schmecken mir Reis mit Bohnen - gar nicht so übel!
Im Dorf besuchen wir eine Schneiderin. Hartmut hatte sich in Arua einen der typischen afrikanisch-bunten Stoffe gekauft, aus dem er sich jetzt ein Hemd schneidern lassen will. Für nur 1,50 €! Na ja, das Ergebnis ist nicht gerade brilliant - was will man erwarten von einer Arbeit, die im Halbdunkel einer kleinen Hütte entsteht. Die Taschen ein bisschen schief aufgesetzt, die Nähte nicht alle gerade ... aber eine handfeste Erinnerung!
Wir besuchen auch das "Krankenhaus" im Dorf, das eine Einrichtung der örtlichen Kirche ist - fünf Minuten von der Diguna-Station entfernt. Hier hat Annika das erste halbe Jahr auf der Entbindungsstation gearbeitet. Man kann es so gar nicht mit unsere Krankenhäusern vergleichen. Die Kranken werden lediglich medizinisch versorgt - für die Pflege und das Essen müssen Angehörige selbst sorgen. Hygienische Verhältnisse? Schwierig ... Offene Fenster, wo Insekten und Krabbelgetier ein- und ausgehen, Vielbettzimmer ohne große Reinigung, Kreissaal mit Betonboden und bunt zusammengewürfelten Instrumenten, manche davon verrostet - von "steril" keine Rede!
Das Labor - nicht nur unser zu Guttenberg hat mit wissenschaftlich korrekten Standards zu kämpfen ...
Abends sind wir bei Buschers, dem Leiterehepaar eingeladen. Es gibt Zwiebelkuchen, lecker! Wir fühlen uns wohl, haben nette Gespräche - und gemeinsame Bekannte in Cuxhaven. Ihre beiden Kinder sind zu süß - die Tochter erinnert uns an unsere Enkelin Sara im gleichen Alter. Mit ihr freunden wir uns schnell an.
Beim Rundgang auf der Station lernen wir viele der einheimischen Mitarbeiter kennen. Schon vorher hatte uns Adriko, ein kongolesischer Handwerker eingeladen, zu ihm zu Hause seine Familie zu besuchen.
Adriko in seiner Werkstatt
Am nächsten Abend gehen wir also los , vorbei an einem Bolzplatz, wo die heimische Jugend Fußball spielt - auch eine Arbeit der DIGUNA, dann 2 km durch den Busch. Unterwegs begegnen wir einer Familie, die auf Hölzern Schlagzeug spielt - keine spontane Musik-Session, sondern Nahrungsbeschaffung: Termiten in der Erde denken bei dem Trommelgeräusch, dass es regnen würde und kommen schnell an die Erdoberfläche, um nicht abzusaufen. Tja, vom "Regen" in die Traufe: Dort werden sie von der Familie eingesammelt, die Flügel werden entfernt, sie werden geröstet und als willkommene Eiweißzufuhr verspeist. Annika hat so was natürlich auch schon probiert: geröstete Termiten sollen angeblich wie Erdnussflips schmecken.Schließlich kommen wir an einer strohgedeckten Hütte mit Lehmboden an. Strahlend begrüßt uns Adriko, stellt und seine Frau und seine fünf Jungs vor.
In der dämmerigen Hütte stehen ein niedriger Tisch und vier Stühle. Später werden sie zur Seite geräumt werden, um den Schlafmatratzen für die Nacht Platz zu machen. Dritsiru trägt eine Schüssel mit warmem Wasser herein, uns werden darin die Hände gewaschen. Dann serviert sie uns Fufu, Tomaten-Palmöl-Sauce, Hühnchen, frittierte Kartoffeln und Gemüse. Das Beste vom Besten! Ich stelle mir vor, wie lange sie für diese Mahlzeit haben sparen müssen und mir ist nicht wohl dabei. Doch sie präsentieren das Essen voller Freude und Stolz. Das ist die sprichwörtliche Gastfreundschaft der Armen. Adrikos Frau isst nicht mit uns - das ist nicht üblich. Sie wird später die Reste zusammen mit ihren Kindern und ihrer Freundin essen. Trotzdem merkt man, dass die beiden ein liebevolles partnerschaftliches Verhältnis zueinander haben.
Wir verständigen uns mit Hilfe von Annikas Französisch-Übersetzung und auch ein bisschen mit Englisch. Adriko stammt aus Uganda und kann daher ein wenig Englisch, ist aber schon als Jugendlicher in den Kongo gekommen. Als wir ihn nach seinen Erlebnissen im Kongokrieg fragen, ist er zurückhaltend. Wie so viele hat er Schlimmes gesehen. Aber sonst ist der Abend unbeschwert und wir lachen viel. Humor ist international!
Zum Schluss sagt Adriko: "Hier ist noch der Hühnermagen, den bekommt immer der Chef!" - Hühnermagen ist angeblich das Beste vom Hühnchen ... Hartmut will mir schon Leid tun, da überreicht Adriko Annika feierlich den Hühnermagen! "Annika ist mein Chef!" betont Adriko, obwohl sie es doch nur ein paar Monate in Vertretung des Leiterehepaares war. Doch in seinen Augen ist sie es immer noch. Annika beißt ohne mit der Wimper zu zucken hinein und kaut genüsslich. Ihhh!
Als wir die Familie später um ein Foto bitten, bricht hektisches Treiben hinter dem Vorhang aus. Dritsiru und ihre Freundin, die ihr beim Kochen geholfen hatte, kleiden sich in ihre schönsten Gewänder, und die Jungs werden in ihre besten Hosen gesteckt - erst dann präsentieren sie sich stolz der Kamera. Inzwischen ist es stockdunkel geworden ...
Die Familie von Adriko: eine Freundin, seine Frau Dritsiru und seine fünf Jungs
Annika mit Salomo, dem jüngsten Sproß von Adriko und Dritsiru
Ganz beeindruckt und beglückt wandern wir später durch den finsteren Busch nach Hause. Gut, dass wir Taschenlampen mitgenommen haben - so gerne würde ich nicht versehentlich auf eine Schlange treten.
Während der nächsten Tage erleben wir das Team bei Pausen und bei der Arbeit in den Werkstätten, in der Küche, beim Wasserholen an der Quelle (die Zisterne, die während der Regenzeit Regenwasser - zum Duschen, Kochen, Trinken - auffängt, ist nahezu leer). Alle Arbeit dient dazu, um z.B. das Equipment - Autos, Technik etc., für Evangelisationen im Landesinnern betriebsbereit zu halten.
Die Zeit im Kongo geht unheimlich schnell vorbei, aber wir haben einen intensiven Eindruck gewinnen können, wie Annika hier lebt. Gebete für sie und die Station können wir jetzt viel konkreter formulieren - und wir wissen, dass es ihr hier gut geht.
Nach drei Tagen fahren wir von Aru wieder nach Arua auf die dortige Station - für einen Tag und eine Nacht.
Dann geht es weiter zu unserer letzten Etappe...