Samstag, 19. Februar 2011

Mammas, Matatus und Maniok

Eingequetscht zwischen einer fülligen afrikanischen Mamma und einem Vater mit seinem vielleicht 10jährigen Sohn auf dem Schoß versuche ich mich einigermaßen einzurichten. Schmerzhaft bekomme ich einen Ellenbogen in die Rippen gestoßen, mein Knie stößt unsanft an die Eisenstange des Vordersitzes, es ist stickig und heftig heiß. Egal - wir haben noch einen Platz im Matatu (Sammeltaxi) nach Kampala bekommen.
Als Annika uns fragte, was wir zu Beginn unseres Besuches bei ihr am liebsten machen würden, ob wir uns z. B. erst in Ruhe aklimatisieren wollen, antworteten wir: Nein, nein, mitten hinein ins volle Leben. Keine Schonung für uns.

Das haben wir nun davon. Ein Matatu - das übliche Fortbewegungsmittel in Uganda - hat 15 Sitzplätze, einen davon für den Fahrer und einen für den Beifahrer, der hinten sitzt, die Leute unterwegs am Straßenrand einsammelt, hinein- oder hinausbefördert und abkassiert. 15 belegte Sitzplätze sind aber durchaus kein Zeichen für ihn, dass der Kleinbus voll ist. Im Gegenteil. Dann geht's erst richtig los! Mit sichtbarer Freude nimmt der Beifahrer die Herausforderung an, bis zu 22 Personen + Gepäck in die Kutsche zu schichten. Ein Raumwunder - und das bei 35 °C im Schatten. Wellness-Urlaub mit Gratis-Sauna! Wer hätte das erwartet ...
Hartmut mit seinen langen Beinen hat man zusammen mit einer jungen hübschen Ugandesin nach vorne neben den Fahrer verfrachtet (der Glückliche!), Annika sitzt irgendwo hinten in den Tiefen des rollenden Kabuffs. Ich habe immerhin meinen Platz in der Nähe eines offenen Fensters gefunden. Der Fahrtwind tut gut, auch wenn er jede Menge roten Staubs hineinwirbelt.
Dazu brüllt uns das Autoradio fröhlich swahilische Werbung in die Ohren. Unterwegs bekommen wir einen ersten Eindruck von Uganda. Oder besser einen zweiten. Der erste war am Abend zuvor der Anblick einer zappelnden sieben Zentimeter großen Kakerlake auf dem Boden unseres Zimmers in einem Gästehaus zwischen Entebbe, von wo aus uns Annika abholte, und Kampala.
Dort hatten wir auch schon einen Teil von Annikas super-nettem DIGUNA-Team aus Aru (Kongo) kennengelernt, die gerade in Kampala Besorgungen machten. Alles, was auf Station über Grundnahrungsmitteln wie Obst, Reis, Bohnen, Maniokmehl etc. hinaus gebraucht wird, gibt es nicht im Kongo, sondern muss in Uganda mühsam organisiert werden; technische Kleinteile, Arztbesuche und Behördenkram sogar in Kampala (600 km von Aru entfernt).
Auf der Staße zu Ugandas Hauptstadt reihen sich Händler an Händler. Unter abenteuerlich gezimmerten offenen Ständen, gedeckt mit Wellblech, Stroh oder Lumpen, bieten sie ihre Waren an: Kleidung, Ananas, Melonen, Möbel, Matratzen, Plastikgeschirr, Körbe, Cola ... Frauen mit ihren Lasten auf dem Kopf laufen aufrecht am Straßenrand, Fahradfahrer schieben ihr Gefährt, das beladen ist mit Bananenstauden, Eisenstangen oder lebenden Hühnern, dem nächsten Markt zu.
In Kampala steigert sich dieses Gewirr um ein Vielfaches. Das Matatu spuckt uns aus und mitten hinein in ein unbeschreibliches Chaos: Massenhaft Autos auf vierspurigen Straßen, Stoßstange an Stoßstange, hunderte von Pikipikis (Motorradtaxis), Wogen von Fußgängern, die sich unter Lebensgefahr im Verkehr bewegen. Rote Ampel? Regeln? Spuren? Fußgängerüberwege? Totale Fehlanzeige - hier fährt jeder, wie es ihm passt und wo gerade eine Lücke ist. Wozu ist schließlich die Hupe da? Demzufolge hupt wirklich jeder wie verrückt - eine einzige Kakophonie. Wir versuchen eine Straße zu queren. Es ist völlig sinnlos zu warten - die Straße wird niemals frei, und es fühlt sich auch kein Auto- oder Motorradfahrer jemals bemüßigt, anzuhalten. Also läuft man einfach los und hofft, irgendwie mit dem Leben davon zu kommen. Im Zickzack und Eilschritt geht es durch den fließenden Verkehr, es geht zu wie beim "Verrückten Labyrinth", nur tausendmal schneller. Man muss hier gute Reaktionsfähigkeiten haben ...
Jetzt verstehe ich auch, warum sich hinten auf fast jedem Matatu ein Aufkleber befindet: "God cares", "Jesus is my security" oder einfach ein schlichtes "Halleluja!" für Christen; entsprechende Pendants mit "Allah cares" und ähnlichem für Moslems. Mit solchen aufmunternden und zweckoptimistischen Sprüchen muss man doch einfach heil durch den Verkehr kommen ...


Die Stadt ist überfüllt mit Menschen, furchtbar laut, beißende Abgase steigen einem in die Nase (Katalysator? Was ist das?), Müllberge aus verfaultem Obst, Papier und leeren Plastikflaschen säumen alle Straßen. Dazu der allgegenwärtige rote Staub, der in der Luft hängt und alles mit einer dicken Schicht bedeckt - jetzt in der Trockenzeit besonders ätzend. Eine Lieblingsfrage unserer Tochter: "Habt ihr auch so rote Popel?"
Auf jeder freien Fläche, und sei sie noch so winzig, machen sich Kleinsthändler breit und verkaufen Erdnüsse, Bananen, Sesamplätzchen oder Sonnenbrillen. Die witzigste Kombination von Waren habe ich bei einem jungen Mann gesehen: Wattestäbchen und Federballschläger. Keine Ahnung, ob der je einen Käufer findet. Eher unwahrscheinlich.


Kinder sitzen bei ihren Müttern im Dreck am Straßenrand. Ich wundere mich, dass sie dieses stundenlange Stillsitzen aushalten (es gibt ja keinerlei Auslauf ein paar Zentimeter vom Staßenverkehr entfernt!) - und das bei dem Lärm und dem Staub. Vieles ist für unsere westlichen Augen schwer zu ertragen - die Lebensumstände dieser Kinder gehen mir schon sehr nahe.
Annika führt uns zum Second-Hand-Markt, und wir tauchen ein in eine enge, düstere, seltsam irreale Welt. Die aus Holzbrettern geschusterten Stände stehen dicht an dicht und sind mit zerfetzten Lumpen bedeckt, die einander überlappen. So dringt kaum ein Sonnenstrahl zu uns; im Dämmerlicht werden wir durch schmale Gänge zwischen Schuhen, Tisch-und Küchenwäsche, Klamotten und Tüchern geschleust. Wo kommt das alles nur her? Landen hier unsere Rote-Kreuz-Säcke mit Altkleidern? Sieht fast so aus. "Muzungu, Muzungu!" schallt es von überall her. "Weiße! Weiße!". Das könnte ein Geschäft werden ... aber nicht mit uns. Wir sind viel zu sehr damit beschäftigt, uns durch das unüberschaubare Gewirr zu schlängeln, vorwärtsgetrieben durch die nachfolgende Masse. Von allen Seiten werden wir genötigt, uns die Waren anzuschauen, gerne auch mit körperlichen Aufforderungen. Intimsphäre? Was ist das? Hier hat keiner Hemmungen, uns beim Arm zu fassen, auf die Schulter zu klopfen ("Hey, my friend! ..."), uns im Rücken ein bisschen in die richtige Richtung zu schieben.
Dann bekommen wir ein tolles Schauspiel von Handelskunst geboten, initiiert von unserer Tochter höchstselbst. Sie meint, noch eine Bluse brauchen zu können und ihr geschultes Auge hat in dem gnadenlosen Wirrwarr von Angeboten ein annehmbares Exemplar gesichtet. Sie weiß nach 18 Monaten in Afrika, wie der Hase dort läuft.
Kitischen Blicks läßt sie den Blusenstoff durch ihre Finger gleiten. Leicht desillusioniert legt sie ihn wieder weg, greift erneut danach, um schließlich zu fragen: "How much is it?" Dazu muss man wissen, dass die Ugandesen ein grottenschlechtes Englisch sprechen - unelegant und platt. Und genau dieses Englisch hat sich unsere Tochter in den letzten Monaten angewöhnt ...
"15.000!" die Antwort der Händlerin. 15.000 Ugandesische Schilling - das sind umgerechnet knappe 5 Euro. Zu viel für diese Verhältnisse. Viel zu viel.
Und so geht's los:
Annika erstaunt: "Oh, no, not really!"
"Yes, 15.000."
"That's too expensive. Give me a better price!"
"Okay. 13.000."
"No, no. That's Muzungu-price!" (mit diesem Satz erntet unsere Tochter fast jedes Mal ein Lachen oder mindestens ein Lächeln vom Händler).
"No, that's not Muzungu-price! 13.000 it's okay."
"No, it's not okay! Give me your best price!"
"12.000 is my best price. I give it for 12.000."
"No, it's still too expensive. I give you 5.000 for this."
"Oh no, ..." usw. Die Diskussion wogte noch weitere 10 Minuten hin und her, bevor unser werter Nachwuchs die Bluse niederlegte, ohne Kaufabschluss und mit einem Abschiedsgruß auf den Lippen zehn Meter weiterging, nur um von der Verkäuferin zurückgerufen zu werden und das Verhandeln erneut seinen Verlauf nahm.
Am Ende zog Annika triumphierend mit einer netten schwarzen Bluse für 6.500 Schilling davon. Wichtigster Grundsatz beim Handeln: Gelassen, ja regelrecht gelangweilt auszuschauen. Anders als z.B. bei südeuropäischen Händlern, wo es laut, lebhaft und mit Händen und Füßen zur Sache geht, ist hier gespielte Gleichgültigkeit angesagt. Ruhig und unaufgeregt sprechen, dabei gelangweilt die Blicke über Nachbarstände schweifen lassen, zu tun, als habe man alle Zeit der Welt, das hat Töchterchen inzwischen drauf und verfehlt nicht seine Wirkung. Nichts ärgert sie mehr, als wenn sie das Gefühl hat, als Weiße über den Tisch gezogen zu werden. Sie möchte in allem ein Teil Afrikas sein, doch leider ist ihre Hautfarbe da manchmal im Weg.


Mittags ruhen wir unsere müden Knochen bei einem vegetarischen Inder aus. Als wir bei der Wahl der Mahlzeit unentschlossen sind, serviert uns der nette indische Restaurantbesitzer eine kleine Auswahl von Speisen zur besseren Entscheidung. Alles ist sehr lecker - und wir kommen in den Genuss von einer kostenlosen Vorspeise ...
Viele Geschäfte hier sind in indischer Hand. Ich muss noch mal forschen, warum das so ist.
Nachmittags bummeln wir noch ein bisschen im "reicheren" Bankenviertel herum. Massenhaft sitzen riesige Marabus in den Bäumen, so wie bei uns die Tauben ...
Bevor wir ein Einkaufszentrum für einen Milchshake betreten, das ähnlich wie westliche Shoppingmeilen (wenn auch mit weniger Angeboten) aufgebaut ist, werden wir von einer Security abgescannt ... Vor jeder Bank stehen solche Sicherheitsbeamte, durchsuchen Taschen und durchleuchten mit Metalldetektoren, bevor man eingelassen wird. Die Präsenz von Polizei, Militär und anderen Uniformträgern ist auffällig.
Wir merken, dass wir nicht mehr viel aufnehmen können und machen uns bald auf den Heimweg - wieder mit dem Matatu - zu unserem Gästehaus. Dort treffen wir "unsere" Leute wieder und haben ein vergnügliches Abendessen mit gekochter Banane (nicht süß!) und Erdnusssauce. Lecker! Das war unser erster Tag in Afrika ...

1 Kommentar:

Annika hat gesagt…

Es war so schön mit euch!!!
Hab euch lieb!