Samstag, 15. März 2008

Vom Glück, kritisiert zu werden

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Was macht ein normal tickender Mensch mit seinen Schwächen und Fehlern? Der natürliche Impuls ist, sie zu verstecken, zu kaschieren, schön zu reden, zu entschuldigen, zu verteidigen, zu verharmlosen, zu leugnen, auf andere zu projezieren...
Bestimmte ungute Verhaltensmuster sind ja oft von Kindesbeinen an tief in uns eingeprägt worden oder wir haben sie uns zu unserem Schutz angeeignet, dass sie so sehr mit unserer Persönlichkeit verwoben sind und so untrennbar zu uns gehören, dass es unmöglich scheint, sie einfach so offen zu legen. Wir selbst als Person würden dann bloß und verletzlich da stehen. Ja, wir würden schier vergehen ... Das Risiko, dass die Menschen, die unser schwieriges Verhalten ablehnen, damit zugleich unsere ganze Person ablehnen, scheint viel zu groß. Wir alle haben so etwas schon erlebt. Die Verletzungen durch solche Ereignisse werden uns nur in dieser Ansicht bestärken.

Gerade bin ich mit meiner Gemeinschaft zur jährlichen einwöchigen Klausur unterwegs gewesen. Ein paar Missverständnisse, Kommunikationsschwierigkeiten, unterschiedliche Meinungen unter uns brachten uns dahin, in sehr ehrlicher, unumwundener Weise über unsere Stärken und Gaben, aber auch über unsere Schwächen und Gefährdungen ins Gespräch zu kommen. Wir sind jetzt seit über 24 Jahren zusammen, sehen uns an zwei, drei Tagen in der Woche, arbeiten intensiv zusammen. Da können unsere Schwächen den anderen nicht verborgen bleiben, da bleiben auch gegenseitige Verletzungen nicht aus. Aber da ist auch zugleich Vertrauen gewachsen, dass wir unverbrüchlich zueinander stehen.
Trotzdem ist ein solcher Prozess hart. Zuzulassen, sich selbst so zu sehen, wie man wirklich ist - und zwar nicht durch unsere eigenen Augen, die den toten Winkel nicht einblicken können oder einen Softfilter über die eigene Persönlichkeit legen, sondern durch die Augen der anderen, das ist nicht leicht. Das eigene So-geworden-sein in seinem ganzen tiefen Ausmaß zu erfassen ist sehr schmerzlich. Das geht nur, wenn man sich zugleich mit seiner ganzen Person, mit seinem So-sein trotzdem uneingeschränkt angenommen und geliebt fühlt. Dann ist Ehrlichkeit möglich. Der freie Zugang zu meinem Herzen bleibt dagegen verwehrt, wenn ich meine negativen Seiten leugne.
Ehrlichkeit und ein offener Umgang mit meinen Fehlern birgt noch eine weitere ungeheure Chance in sich. Indem ich meine Schwierigkeiten zugeben kann und nicht mehr verstecken brauche, entlasse ich mich selbst aus einer Gefangenschaft und ich habe die Möglichkeit, tief eingefahrene Spurrillen zu verlassen und in Neues hineinzuwachsen - mit dem Wissen der anderen, dass ich immer wieder mal, vermutlich bis ans Lebensende, in das Alte zurück fallen werde und ich trotzdem mit unterstützender Gnade und Barmherzigkeit rechnen darf. Es kommt eine gewisse Leichtigkeit ins Spiel, wenn mir jemand in die Augen schauen kann und sagen darf: "Hey, merkst du es gerade? Da war sie wieder, deine alte Schwäche ..." Und ich darf zurück blinzeln und sagen: "Ja, tatsächlich. Sorry...".
Wer wie ich Freunde hat, die den Mut finden, mir auch schmerzliche Wahrheiten zu sagen, selbst auf die Gefahr hin, dass ich erst mal vielleicht wie wild zurück schlage und mich wehre, der darf sich glücklich schätzen. Der ist wahrhaftig geliebt. Und der sollte diese Chance ergreifen. Ich habe es - wie auch meine Mitgenossen - in diesen Tagen getan und bin sehr froh darüber.

3 Kommentare:

Ralf hat gesagt…

Das ist zu ehrlich und zu schön um wahr zu sein. Ihr habt da etwas sehr wertvolles und gefährliches (sic!) angefangen. Wie war noch das vergangene Thema der Konferenz, das eine kleine, liebgewonnene Truppe veranstaltet? Die Kraft der Gemeinschaft! Diese Offenheit ist, glaub ich, ein ganz wichtiger und zerbrechlicher Teil von ihr. Danke für deine Freundschaft und die (hier) gezeigte Offenheit. LG, Ralf

c'est moi hat gesagt…

Ich freu mich mehr von euch am Montag zu hören.
Ich hab dic lieb!

Anonym hat gesagt…

@Ralf: Danke für deinen lieben Kommentar - es tut gut, signalisiert zu bekommen, dass man nicht völlig verrückt ist. Das Ganze geht ohnehin nur mit Hilfe des Einen, der bereit ist, unseren Liebestank stets gefüllt zu halten - wenn wir's denn zulassen.
@Annika: Freue mich sehr, dich Montag zu sehen!