Mittwoch, 31. Oktober 2007

Schmutz und Blut

Vor einigen Wochen las ich den "Jesus-Faktor". Neben vielen hoch interessanten und für mich neuen und nachdenkenswerten Aspekten des Glaubens in unserer Gesellschaft hat mich ein Abschnitt in ganz besonderer Weise gepackt. In dem Kapitel sprach der Autor Kester Brewin darüber, dass wir in unseren Kirchen "den Schmutz der Welt" leider draußen lassen, sozusagen klinisch reine, "heilige" Gottesdienste feiern, in denen Sünder nicht wirklich Sünder sein dürfen. Er macht deutlich, dass "Jesus nicht für die Gerechten, sondern für die Sünder gekommen sei, um sie zur Buße zu rufen", sie also nicht ausgrenzt, so wie wir das oft tun, sondern mit ihnen zusammen ist. Auch unsere eigene Schuld wird sonntags meist ausgegrenzt. Der Autor ruft Christen auf, die "Schmutzgrenzen" zu erweitern, "fragwürdige Menschen" nicht auszuschließen, sondern in unsere Gemeinschaften einzubinden.
Um das zu verdeutlichen, hatte seine Gemeinde einmal einen Gottesdienst gefeiert, in dem mehrere schockierende Elemente vorkamen. U.a. wurde ein Abendmahl gefeiert, und zwar auf eine Weise, die einer der Gottesdienstbesucher im Nachhinein folgendermaßen beschrieb:

"Der Altar ist ein kleiner weißer Würfel. Der Austeilende steht dahinter, Brot in der Hand, und erklärt, was dieser Ritus bedeutet. Er spricht ruhig, und so sind wir auf das, was kommt, überhaupt nicht vorbereitet. 'Dies ist der Leib Christi, der für euch gebrochen wurde.' Mit diesen Worten wirft er das Brot auf den Boden. 'Dies ist das Blut Christi, das für euch vergossen wurde.' Er schüttet den Wein quer über den Altar. Er fließt auf den Boden wie Blut.
Wir sitzen da, sprachlos. Das ist schockierender als alles andere zuvor. Unerwartet, unsanft, ehrlich. Eine Mitarbeiterin sammelt das Brot auf und legt die Brocken auf den Altar. Sie füllt noch mehr Gläser mit Wein, lässt aber das umgestoßene liegen. Wir kommen immer zu zweit nach vorne. Auf jeder Seite des Altars steht ein Spiegel und als wir hinknien, können wir uns selbst zuschauen, wie wir die Gaben empfangen. Auf dem Spiegel steht: 'Ihr seid mein Leib'".

Ich hatte das Bild so intensiv vor Augen, dass ich wie mitten drin im Geschenen war und es mich bis ins Innerste erschütterte. Ich habe eine halbe Stunde nur geheult.
Mir kam keine Sekunde in den Sinn, dass dieses Abendmahl blasphemisch war. Es war Ausdruck tiefster Wahrheit. Und Tränen die einzig angemessene Reaktion darauf. Dass es nötig war, dass Jesus sich diesem Martyrium hatte aussetzen müssen, um uns zu retten...
Heute nun hat dieses für mich sprituelle Erlebnis eine weitere Dimension erfahren.
Einige Mieter im Haus meiner Mutter hatten sich in der Nacht eine schwere Prügelei mit anschließender sehr gefährlicher Messerstecherei geliefert. Der Flur und die Wohnung waren zertrümmert, überall war Blut: auf dem Boden, an den Wänden, auf den Sitzmöbeln. Ich kam, um meine Mutter in ihrer Aufregung zu beruhigen und zu helfen, wo es ging. Die betroffenen Leute waren in U-Haft oder KH. Ich kniete den ganzen Morgen auf dem Boden und schrubbte ca. ein Liter Blut von den Fliesen, wusch es von den Tapeten und überstrich sie mit weißer Wandfarbe, räumte auf.
Und während ich die dicken, ekligen Blutstriemen von der Wand kratzte und die Blutlachen aufwischte, sah ich wieder dieses Bild des umgestoßenen Kelches vor mir, aus dem Wein wie Blut auf den Boden tropfte, und dachte plötzlich: Bist du auch hierdrin, Jesus? Wenn es stimmt, dass du vor allem im Dreck zu finden bist, dann bist du auch hier. Du kennst das hier. Du hast dich auch solchen aggressiven, rachedurstigen , brutalen, gedankenlosen, zerstörenden Menschen ausgesetzt. Du bist knietief im menschlichen Dreck gewatet. Nein, nicht nur knietief. Nicht nur hüfthoch. Sondern dieser menschliche Dreck aller Zeiten ist so tief, so bodenlos, dass er über deinem Kopf zusammengeschlagen ist, so dass du buchstäblich dran erstickt bist. Aber du bist als Sieger daraus hervorgegangen.
Dir ist nichts Menschliches fremd. Und nichts Unmenschliches. Du kennst jede unserer Sünden. Jeden Abgrund in uns. Und genau da bist du hinabgestiegen - und wieder aufgetaucht. Das ist es, was uns und anderen Hoffnung geben kann.
Wir müssen unsere Gemeinden wieder "zu einem Ort machen, wohin Menschen kommen können, um sich zu reinigen, ohne sich dabei verdammt zu fühlen". Und wir müssen endlich neu verstehen lernen, dass wir alle in einem Boot sitzen, Christen wie Nichtchristen. Wir alle haben Dreck am Stecken, der eigentlich unendschuldbar ist. Da ist keiner besser als der andere. Meine eigenen Sünden sind in Gottes Augen nicht harmloser als die des Messerstechers. Wir sind gemeinsam darauf angewiesen, dass Jesus uns seine Vergebung und seine Gnade anbietet. Und das tut er. Was ist das für ein Gott!

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wow!