Sonntag, 18. November 2007

Kulturschock

Wenn ich die Diskussion um die emergente Kirche in der postmodernen Zeit richtig verstehe, geht es darum, Glauben kulturrelevant zu leben: Nicht getrennt von der Welt, sondern in der Welt; einen gegenseitig befruchtenden Austausch zu pflegen von gesellschaftlicher Kultur und einer Kultur, die die emergente Kiche selbst neu zu entwickeln hat.

Das ist nichts wirklich Neues: Wir Christen sind bereits in der Bibel aufgerufen, Salz der Welt, Sauerteig im Brot, Licht auf dem Berg zu sein. Das eine ist nichts ohne das andere. So weit, so nachvollziehbar.

Doch was genau ist Kultur? Oder besser: Wie sieht unsere Kultur in der Postmodernen aus? Wenn man Kultur definiert als gesammeltes Wissen, Ethik, Moral, Kunst, Religion, Bräuche, Sitten und allgemein bekannte Symbolaussagen einer Gesellschaft, muss man sich fragen, was davon z.Zt. überhaupt noch Bestand hat. Was ist im heutigen Menschen noch als „Kulturwissen“ vorhanden, geschweige denn fest verankert?

Beispiele:

In einer Zeit, in der man Weihnachtsutensilien ab Ende August in den Kaufhäusern erwerben kann, in der es nicht mehr Usus ist, in Schwarz zur Beerdigung zu gehen oder auf Hochzeiten einen Anzug zu tragen, wo man nicht mehr zwischen Alltags- und Sonntagskleidung (wie in meiner Kindheit üblich) unterscheidet, scheint das Bewusstsein für den Rhythmus des Jahres oder der Woche nicht mehr da zu sein.

In einer Zeit, in der Leute ab 45 keinen Job mehr bekommen und Senioren in Heime und Hospize abgeschoben werden, ist der Respekt vor dem Alter auf der Strecke geblieben.

In einer Zeit, in der Kinder kaum noch intakte lebenslängliche Familienverbände kennen, sind Werte wie Treue und Durchhaltevermögen nicht in.

In einer Zeit, in der ein Großteil der menschlichen Kommunikation über PC- oder Handytastatur läuft statt über tief gelebte Freundschaften, sind Herz-zu Herz Gespräche selten geworden.

In einer Zeit, in der man ungestraft rote Lampen auf die Fensterbank stellen darf, weil das so gemütlich aussieht und die IKEA-Lampe doch so günstig war, muss man sich fragen, ob früher gemeinhin bekannte Symbole verloren gegangen sind. :-)

Vieles ist weg, was früher Gang und Gäbe war. Manches muss auch nicht mehr sein, das ist in Ordnung, denn Leben heißt Entwicklung. Doch was genau ist an dessen Stelle getreten? Wenn das, was wir in unseren Gemeinden anzubieten haben, nicht mehr relevant ist für die heutigen Menschen, was ist dann relevant aus der Gesellschaft heraus für uns Christen?

Steht nicht an Stelle der Kultur nur noch Kult? Tokio Hotel und iPhone und das neueste Ego shooter-Spiel?

Wenn alte Werte ins Wanken geraten sind (innerhalb und außerhalb der Kirchen), was sind dann die neuen? Was ist lebenstauglich?

Ja, man ist aus den engen braven Gemeindeschuhen rausgewachsen. Ja, etwas Neues muss her. Aber nicht nur wir Christen müssen uns fragen, was wir mit uns anfangen und wie wir unseren Glauben authentisch leben und zeitgemäß ausdrücken. Auch die Gesellschaft ist verpflichtet, Werte zu schaffen und Kultur zu bilden. Doch ich sehe noch nicht, dass es von Seiten der jetzigen Gesellschaft – klar, deren Teil ich ja auch bin – etwas Attraktives gäbe, auf Grund dessen ein lebhafter Austausch statt finden könnte. Oder bin ich auf dem Auge blind?


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