Dienstag, 6. Februar 2007

Paradox

Heute habe ich habe ich unterwegs beim Einkaufen die ersten Krokusse blühen sehen. Das sind doch Frühlingsboten!? 5 min. später fängt es in dicken Flocken an zu schneien. Was denn nun? Wird es Frühling oder erst mal Winter? Oder beides gleichzeitig? Geht das überhaupt? Ein Paradox.

Die Natur scheint das zu spiegeln, was ich in meinem Alltag und in meinem Glauben so oft erlebe: das parallele Vorhandensein von Widersprüchen. Im Volksmund Paradoxa genannt. Ich habe Vertrauen zu Jesus und gehe eigene Wege. Ich kann den Satz hundertfach nachsprechen: „Ich glaube – hilf meinem Unglauben!“ Und immer wieder mit Paulus einstimmen: „Das Gute das ich will, das tue ich nicht, und das Böse, das ich nicht will, das tue ich!“. Ich weiß von der Stärke in mir Schwachen. Und von der Schwäche des Starkseins!

Die Bibel ist voller Paradoxa. Das Paradox von der Freiheit im Gehorsam. Von der Freude im Leid. Vom Wasser in der Wüste. Vom Reichtum in der Armut. Vom Ersten, der der Letzte sein wird und umgekehrt. Das Paradoxon von der doppelten Geburt. Das vom Kreuz: Durch den Tod zum Leben, vom sterbenden Weizenkorn, das Frucht bringt ...

Und dann Gott selbst: Das Paradox von der Dreieinigkeit Gottes: Wie können drei einer sein und einer drei? Und Jesus: Gott und Mensch zugleich?

Das größte Geheimnis Gottes ist allerdings für mich etwas, was bei Menschen so gut wie niemals hinhaut, dafür aber bei Gott: Die Vereinbarkeit einander widerstrebender Kräfte - Macht und Liebe. Ich glaube an Gottes Allmacht. Und ich weiß, er ist Liebe. Aber unserer menschlichen Erfahrung nach sind das beides Kräfte, die miteinander im Streit liegen, die unvereinbar sind. Das sehen wir jeden Tag bei uns selbst und bei anderen. Und im Weltgeschehen. Wir kriegen's nicht klar: Entweder wir stellen unsere Interessen zurück, geben um anderer Willen nach, weil die Liebe die Oberhand gewinnt, oder wir drücken mit Macht unsere Interessen durch bzw. – von mir aus – auch die anderer. Aber eine Kraft gewinnt und die andere verliert.

Deswegen fällt es uns so unwahrscheinlich schwer, sowohl an die Allmacht Gottes genauso wie an seine Liebe zu uns zu glauben. Immer denken wir: Jetzt muss aber seine Liebe weichen, bei dem Scheiß, den ich gebaut habe, jetzt greift er bestimmt hart durch. Oder wir ziehen uns auf ein gemütliches Kuschelchristsein mit einem „lieben“, aber zahnlosen Gott zurück.
Beides kann nicht funktionieren. Und wir sind zwangsläufig vom Glauben enttäuscht.

Es ist so ungeheuer wichtig für uns, dass wir uns auf beides verlassen können: Auf Gottes Liebe und seine Macht. Denn einem starken, mächtigen, eingreifendem Gott können wir auf keinen Fall vertrauen, wenn wir unsicher sind, ob er uns auch wirklich wohlgesonnen ist, ob er uns wirklich liebt, so wie wir im Moment sind. Und ein lieber, freundlicher Gott, der keine Macht hat, in unser Leben einzugreifen, nützt uns gar nichts. Keiner solcher beiden Götter wäre relevant für uns. Ich spreche von Göttern (Götzen), weil das falsche Bilder sind, die wir uns von Gott machen.

Deshalb: „Der Weg des Paradoxes ist der Weg zur Wahrheit. Um die Wirklichkeit zu prüfen, muss man sie auf dem Seil tanzen lassen.“ (Oscar Wilde, auch so ein zerrissener Mensch).

Ich will nicht bei meinen Erfahrungwerten stehenbleiben. Das gibt nur Frust. Prüfen wir also die Wahrheit. Offensichtlich ist sie nicht leicht, mal eben so im Vorübergehen und zwischendurch während unserer Tagesgeschäfte zu bekommen. Ich muss mich schon auseinandersetzen. Vor allem mit Gott selber. Möchte mit ihm diskutieren, wo mir Dinge unbegreiflich sind. Möchte ihn festnageln auf seine Zusagen. Dass wir Menschen ihn festnageln, kennt er schon ... Das kann ihn nicht schrecken. Möchte fragen und betteln, bis ich Antworten bekomme, bis sich etwas löst, bis Heilung kommt, Veränderung, Frieden ... Ich gebe Gott nicht auf. Weil er mich nicht aufgibt.

Eigentlich bin ich auch froh, dass Gott und seine Welt nicht so leicht zu durchschauen sind. Er wäre sonst wohl nicht Gott. Und irgendwie auch langweilig.


4 Kommentare:

Ralf hat gesagt…

1. DANKE (!!!!) für das übersendete Buch. Habe es gestern im Postkasten gehabt. Bekommst es in einem Stück zurück. Brauche aber ein bischen, da ich es wohl mind. 2-mal lesen werde.

2. Klasse Post von Dir! Besonders genial fand ich O.W.-Zitat und den Satz mit dem Festnageln. Finster, finster! ABER SO GROSSARTIG!

3. Erwarte das von Dir geschriebene Buch über Gottes Paradoxa! Gerne auch einem Pseudonym veröffentlicht... :-)

4. Bin zu müde um mehr zu schreiben . Muss den Post morgen noch mal lesen...

Anonym hat gesagt…

Danke, Ralf! Um ehrlich zu sein, habe ich beim Satz mit dem Festnageln echt gezögert. Er kam mir wie ein Blitz, aber eigentlich möchte ich keine Witze auf Kosten von Jesus und dem Unglaublichen machen, was er für uns - für mich! - erlitten hat. Aber ich wollte damit sagen: Gott hält mehr aus, als wir oft denken. Mehr Protest, Widerstand, Ignoranz, Rebellion unsererseits ...
Was das Buch angeht - da bin ich so wenig von mir überzeugt und sehr, sehr unsicher. Immer vermute ich: Das, was ich denke und schreibe, gibt es ja schon. Das haben bestimmt andere vor mir gedacht. Also lohnt sich das nicht, es zu veröffentlichen. Wen interessiert das außer mir? Aber da ich gerne schreibe, deswegen die "Fingerübungen" in diesem blog ... Zum Thema noch ein Nachtrag. Das Paradoxon der Vereinbarkeit von Liebe und Macht hat Gott selbst so beschrieben: "Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum (Macht) u n d bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind (Liebe)."(Jesaja ?). Da kann man stundenlang drüber nachdenken.

K hat gesagt…

du schreibst voll toll :) sowas liest man gern...
(wobei mir immer widerstrebt sowas zu sagen, weil ein urteil (auch ein positives) irgendwie voraussetzt, dass man in der lage ist, zu beurteilen... äh naja vielleicht sollte ich mich einfach mal entspannen ;-))

Anonym hat gesagt…

@ Kerstin: Danke, Kerstin! Das ermutigt mich. Habe deinen blog gerade teilweise gelesen (bin auf dem Sprung in den Urlaub und kann daher nicht alles schaffen), und ich finde ihn auch sehr interessant und lesenswert. Werde ihn künfig garantiert öfter besuchen!